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Sonntag, 16. Oktober 2011

In Fetzen

Er steht auf. Geht ein paar Schritte und sagt dann: Schön ruhig hier. Ich blicke auf. Aktenkoffer, graues Jackett, dunkle Hose. Bis eben saß er auf der Nachbar-Bank, vielleicht zehn Minuten lang. Jaja. - Bist du auch allein da? Er versucht ein Lächeln, zögert kurz, um vielleicht doch noch länger zu bleiben. - Nee, ich warte auf jemanden. Lass mich mal bitte eben allein in meiner Blase, setz ich im Stillen hinzu. - Wirklich schön ruhig hier, sagt er noch einmal und dreht sich dabei um. Er geht quer über die Wiese, aus dem Schatten in die Sonne. Was war das denn, denk ich noch, bevor ich mich wieder dem Telefon widme. Schöne neue Welt. Alles, worauf ich warte, bin ich selbst und dass drei Sätze endlich in ein Schema passen. 140 Zeichen für „Audur Ava Olafsdottir sagt: Ich nutze jede freie Zeit zum Schreiben, jede Kaffeepause und selbst die 20 Sekunden Wartezeit an der Ampel. Auf die perfekte Eingebung zu warten, ist ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann.“ Audur Ava Olafsdottir sagt 81 Zeichen zu viel.

Das letzte Grün im Jahr, die sinkende Sonne und ausufernde Parkwiesen. Mit dem Kopf im Nacken sind es 360 Grad Baumkrone. Eine dunkelgrüne Bordüre am Rand einer blassblauen Kuppel. Über ihre Decke ziehen weiße Schlieren und ein Flugzeug. Das Rauschen mischt sich mit dem Straßenlärm, hinter den Bäumen ist die Autobahn, Joggerschritte kratzen rhythmisch über den Kies. Jemand hat sein Rad auf dem Grün drapiert, gut sichtbar für alle. Er steht daneben, die Hände gegen die Herbstluft in den Taschen, als würde er mitten auf der Wiese seine Verabredung erwarten. Du erkennst mich am Fahrrad, lass es das Zeichen sein.

Diese Straße kenn ich nicht. Erst das Ende ist vertraut. Esprit und Kaufhof blinken mir entgegen. Ab dort weiß ich den Weg. Dazwischen schlängeln sich Massen, ein menschlicher Strom aus Jacken, Schals und Winterschuhen. Ich will nicht, denke ich und klammer mich an meine Tasche, zu viel, zu viel. Zwischen den Platanen ist immer eine Schneise, ich schwimme zu dieser Sandbank im Körpermeer, hab sie fast erreicht, als: Entschuldigen sie, wo ist denn hier der Levis Store? - Was? - Der Levis Store. - Keine Ahnung, soll der hier sein? - Ja, an der Hauptwache, es ist wegen der Glamour Shopping-Week. Glämma, denk ich, aber sie spricht es aus wie Glämmor. - Und wissen sie, wo der Buffalos-Laden ist? - Nein. Buffalos-Laden? Sowas gibt's? - Der soll hier auch irgendwo sein. - Tut mir leid. - Trotzdem danke. Sie verabschieden sich und werden sofort wieder zum Teil der Menge, grau und schwarz und braun, perfekt untergetaucht. Ich will hier weg.


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